Von der Kunst, nicht künstlich zu sein.
Spiegelglatt: So würde sich unsere Gesellschaft am liebsten erleben. Jederzeit und überall. Das iPhone wird foliert, so dass auch ja kein Kratzer auf das wertvolle Glas kommt. Das Auto wird gewachst, die Haut enthaart. Und der Wahn des vermeintlich Perfekten macht auch vor dem menschlichen Charakter keinen Halt: Alles, was Ecken und Kanten hat, gilt als auffällig und sollte am besten lieber gestern noch als heute optimieren werden. Aber: Sind es nicht gerade die kleinen Macken im System, die die eigentliche Perfektion zaubern? Es wird Zeit, die Vollkommenheit im Unvollkommenen zu suchen - denn nicht jede Kante lässt sich mit Hypnose wegbügeln.
Warum glatt als schön gilt.
Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han erzählt in seinem Interview mit der Welt (hier geht's zum Artikel: "Tut mir leid, aber das sind Tatsachen."), dass wir in unserer heutigen Gesellschaft Glattes gerne mit Schönem assoziieren. Die Haut, das Smartphone, die Liebe: Hauptsache, keine Ecken und Kanten, Hauptsache, unverletzlich. Ein Trend, der allerorts zu beobachten ist und leider auch vor dem Menschen selbst keinen Halt macht. Je glattgespülter, umso kompatibler gilt man heutzutage mit der Gesellschaft, umso besser eignet man sich für den Jobmarkt - oder auch die Partnerschaft. Makel gilt es auszumerzen, das Ideal ist der Mensch ohne spür- und sichtbare Kanten. Zum Gähnen langweilig!
Hypnose: Glätteisen für die Seele?
Den alltäglichen Optimierungswahn bekommen vor allem professionelle Veränderungsbegleiter zu spüren. In meiner Münchener Hypnosepraxis trudeln immer wieder Anfragen rein, die aufs erste Hinhören durchaus plausibel klingen: Ein wenig mehr Selbstbewusstsein hier, ein bisschen Vergangenheitsbewältigung da - tagtägliches Geschäft, und an und für sich keine großartige Herausforderung. Paradoxerweise zeichnet sich jedoch schnell eine überraschende Formel ab: Je schwerwiegender das Problem, umso besser ist es zu behandeln - während manch ein vermeintlich leichtes Thema nahezu nicht zu bewältigen ist.
Klingt seltsam? Lassen Sie mich das einmal anhand eines praktischen Beispiels beschreiben. Flugangst - die lässt sich eigentlich richtig gut und rasch bearbeiten. In aller Regel genügen ein bis maximal zwei Sitzungen, selbst bei hartnäckigen und langwierigen Schwierigkeiten, um das Thema mehr als zufriedenstellend zu lösen. Wenn es denn eine richtige Flugphobie war ...
Ganz anders sieht es beim "leichten Unwohlsein beim Fliegen" aus: Unter der scheint sogar Dr. Richard Bandler, einer der Miturheber des neurolinguistischen Programmierens (NLP) zu leiden (meinte er zumindest im Rahmen meiner Fortbildung zum NLP MasterPractitioner 2007 in London). NLP ist übrigens die Technik, die eigentlich bei Phobien mit die rascheste Wirkung zeigt! Aber das leichte Unwohlsein ist - ganz im Gegensatz zur richtigen Phobie - unglaublich schwierig zu beheben.
Kann es da vielleicht sein, dass manche Dinge vielleicht durchaus normal sind - und nicht jedes Thema hypnotisch einfach weggebügelt werden kann?
Pathologisch oder noch normal?
Grundsätzlich nehmen wir als professionelle Coaches und Therapeuten da erst einmal den Leidensdruck in Augenschein: Wie hoch ist er, wo genau stört er? Bei einer richtigen Flugphobie fällt schon mal jede Urlaubsplanung flach, sofern sie nicht auf dem regulären Land- oder Seeweg realisierbar ist. Und natürlich kann auch das Berufsleben ganz entschieden darunter leiden, wenn man auf das rasche Bewältigen großer Wegstrecken angewiesen ist. Da ist schnelle Hilfe angebracht, und diese lässt sich auf hypnotischem Wege durchaus bieten! Wie schon geschrieben: Ein oder zwei Sitzungen, und das Thema ist in aller Regel erledigt - meist arbeiten wir hier mit einer Mischung aus Hypnose, NLP und Havening. Trotz der hohen Geschwindigkeit der Veränderung sind die Ergebnisse in aller Regel überraschend nachhaltig.
Allerdings hinterfragen wir im Ersttermin auch sehr genau, wie das Problem genau geprägt ist. Und manchmal stellt sich dabei heraus, dass das Problem eigentlich gar keines ist - sondern vielmehr eine Charaktereigenschaft, die eben zum Menschsein dazugehört, die durchaus normal und natürlich (wenn auch unerwünscht) ist, und nicht einfach so weghypnotisiert werden kann. Da könnte man 100 Sitzungen machen und hätte immer noch keine Veränderung. Der Veränderungswunsch muss eben nicht nur zur Intervention, sondern vor allem auch zum tatsächlichen Veränderungsbedarf passen, sonst ist jede Liebesmüh vergebens.
Ein weiteres Beispiel dazu: Mit einem Klienten habe ich mal drei Termine bestritten, da er seine pathologische Eifersucht besiegen wollte. Ergebnis? Zum Ende der dritten Sitzung hin musste sich der Klient eingestehen, dass seine Partnerin eigentlich schon seit langem einen heimlichen Liebhaber hatte, was er aber bislang nicht wahrhaben wollte (unser lieben Verdrängungsmechanismen wollen uns vor allem auch vor Schmerz hüten!) - was er sich dann mit Hilfe einer vermeintlich erhöhten, pathologischen Eifersucht selbst irgendwie erklären wollte. Hat so nicht funktioniert. Und die Eifersucht war eben auch gar kein Thema! Das hat ihm lediglich die Partnerin immer wieder unterstellt, und er hat's geschluckt.
Trotzdem waren die Sitzungen für den Klienten enorm hilfreich, da er so wenigstens neue Handlungsansätze erarbeiten konnte und sich seines eigentlichen Veränderungswunsches bewusst wurde - aber insgeheim dachte ich mir: Wie viele Kollegen würden jetzt wohl ihre Unkenrufe zum Besten geben, wie leicht es doch wäre, Eifersucht mit Hypnose zu besiegen ... Tja, in der Schule hätte man das noch klassischerweise als Themaverfehlung bezeichnet. Wäre ein wenig so, als ob man die Warnlampe für die Tankfüllstandsanzeige im Armaturenbrett deaktivieren würde, statt den Tank aufzufüllen! Nicht jedes Symptom, das man wegmacht, behebt zugleich auch die Ursache. Viel wichtiger aber noch: Nicht jede vermeintliche Ursache ist auch die tatsächliche Ursache! Ansonsten könnte man bei der Warnlampe ja auch einfach sagen: Grund für das Symptom ist der Storm - stellt man den ab, erlischt auch die Anzeige.
Deshalb prüfe, wer sich ewig (an neue Glaubenssätze) bindet!
Ganz klar: Als Profi nimmt man einen Veränderungswunsch nicht einfach unkritisch an, sondern durchleuchtet diesen so lange, so gründlich und so gut es nur irgendwie geht. Wir nennen das Zielearbeit, ein Teil des kognitiven Wirkdialogs, den wir bei fast allen Hypnosesitzungen zum Einsatz kommen lassen. Und das ist auch der Grund dafür, dass wir nicht einfach munter draufloshypnotisieren, sondern im Coachinggespräch erst einmal Klarheit schaffen, wie der eigentliche Veränderungswunsch beschaffen ist und inwieweit dieser auch mit dem tatsächlichen Veränderungsbedarf korreliert. Erst, wenn beide Parteien genau wissen, wo der Hase im Pfeffer begraben liegt, geht's auch los.
Denn: Nichts ist enttäuschender als eine Veränderung, die nicht den erhofften und ersehnten Nutzen bringt - sondern einen lediglich vom Regen in die Traufe bugsiert!
... und warum Ecken und Kanten in Wirklichkeit doch viel schöner sind.
Aber zurück zum Ausgangsthema: Der Mensch als glattes Produkt. Nicht nur körperlich topfit, sondern auch seelisch und charakterlich auf Erfolg gezüchtet. Bitte - alles, nur das nicht! In der Musik weiß man, dass Dissonanzen ein Lied erst so richtig schön machen können. Und in der Rhetorik gilt: Pausen, Unterbrechungen, die kleinen Interrupts sorgen für Spannung. Aber auch beim Menschen kann zu viel künstlich angezüchtetes Verhalten schnell genau die gegenteilige Wirkung zeigen! Der Mensch wirkt irgendwann künstlich, bewusst vielleicht nicht wahrnehmbar, aber unser Unbewusstes schnappt die (künstlich herbeigeführte) Umstimmigkeit schnell auf - und wir wirken zwar glatt, aber nicht sympathisch.
Sind wir ehrlich mit uns selbst, müssen wir uns eingestehen: Menschen mit Ecken und Kanten sind authentisch. Das heißt nicht, dass man jedes Manko sang- und klanglos akzeptieren muss. Die Hypnose bietet vielfältige Möglichkeiten, um das eigene Selbstwertgefühl aufzubauen und Blockaden zu reduzieren - schön blöd, wenn man diese nicht nutzen würde. Als Endergebnis ist dann jedoch nicht der perfekte Mensch zu erwarten, sondern vielmehr der Mensch, der man in Wirklichkeit schon immer gewesen ist und der jetzt eben die along-the-way aufgesammelten Blockaden wieder verloren hat.
Falls das noch zu abstrakt klingt, hier mal ein anschauliches Beispiel dazu: Ein Sozialphobiker, der von Haus aus eher introvertiert ist, wird sich wohlweislich auch mit Hypnose nicht unbedingt zum extrovertierten Überdraufgänger machen lassen - sehr wohl aber zum feingeistigen, tendenziell introvertierten Menschen, der dennoch die Gemeinschaftlichkeit der Gruppe genießen kann und gerne zu Gast ist auf Fortbildungen, Feiern oder sonstigen Anlässen. Die grundlegende Charakterstruktur darf dabei ruhig unangetastet blieben, sonst geht der Veränderungswunsch schnell in die Hose. Beispiele dafür laufen mir leider Gottes immer wieder über den Weg: Menschen, die nicht ihr Leben leben, sondern eine Rolle spielen. Das kostet Kraft, Zeit, Energie, macht müde und schlapp, und führt über kurz oder lang zum Lebensunglück. Neudeutsch: Zum Burn-Out.
In meinen Einzelsitzungen mit Klienten ist aber dieser eigentlich sehr einleuchtende Punkt manchmal etwas schwierig zu vermitteln. Zu sehr ist der Mensch auf Konsum programmiert und denkt, er wäre bedingungslos umpolbar: Der kreative Chaot wünscht sich, plötzlich zum Organisationstalent zu avancieren. Die schüchterne Dame möchte zum Mittelpunkt einer jeden Party werden. Hypnose soll als magische Pille herhalten und den Menschen von Grund auf umprogrammieren ... Tja: Auch, wenn das im gewissen Rahmen durchaus möglich wäre, würde es eben nicht langfristig zum Glück führen. Sondern Probleme mannigfaltiger Art an anderer Stelle entstehen lassen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen da so geht - aber ich bin ein großer Freund von einem Menschenbild, in dem der Mensch ruhig seine Eigenheiten behalten darf - manches davon kann auch unglaublich sympathisch sein und je nach Kontext überaus nützlich. Würde unser oben genannter Künstler denn tatsächlich noch über das selbe Maß an Kreativität verfügen, wenn plötzlich das Herz eines Buchhalters in seiner Brust schlagen würde?
Deshalb: Bitteschön auf Abstand gehen zum totalitär orientierten Veränderungswunsch, hin zu einem Zielebild, in dem der Mensch noch als Gesamtes betrachtet wird - mit allem, was eben so dazugehört. Auch, wenn es nicht spiegelglatt und makellos ist. Auch, wenn der Mensch am Ende immer noch Mensch ist ...