Die systemische Arbeit mit Klienten
In der systemischen Therapie (bzw. im systemischen Coaching) geht man davon aus, dass sich persönliche Themen nur dann gründlich und nachhaltig lösen lassen, wenn man den Blickwinkel erweitert und statt nur "an sich selbst" zu arbeiten auch das persönliche Umfeld des Klienten betrachtet. Statt an einem einzelnen Glied zu arbeiten wird im Endeffekt also die gesamte Kette betrachtet.
Für den Coach oder Therapeuten stellt die systemische Herangehensweise eine besondere Herausforderung dar - bietet allerdings auch ganz besondere Chancen, gerade dann, wenn konventionelle Therapieansätze (die sich ausschließlich auf den Klienten selbst beziehen) gescheitert sind.
Die wichtigste Regel für jeden Hypnotiseur, Coach, Therapeuten oder NLPler, der mit zwei oder mehreren Klienten arbeitet, lautet:
Sei niemals parteiisch!
Als professionelle Berater ist es unsere Aufgabe, zu vermitteln und eine gesunde Diskussionsfläche auf Augenhöhe herzustellen. Unsere Klienten sollen einen geschützten Rahmen geboten bekommen, in dem sie sich möglichst frei und fair austauschen können. Selbstverständlich darf der Coach hier auch im Bedarfsfall den Schiedsrichter spielen und die gelbe Karte zeigen - zum Beispiel dann, wenn einer der Gesprächspartner ausfällig wird. Allerdings sollte sich die Hauptfunktion auf die gekonnte Gesprächsbegleitung beschränken. Urteilen, werten, Partei ergreifen - all das hat in der systemischen Beratung nichts verloren.
Regel #2: Optimalerweise endet der Prozess mit einer Lösung - und nicht mit einem Kompromiss.
Ein kleiner, aber feiner Unterschied, der für die Klienten durchaus von hoher Bedeutung sein kann. Kompromisse hinterlassen immer einen faden Nachgeschmack von nicht voll auf seine Kosten gekommen zu sein; es bleibt das Gefühl, man hat für as Ergebnis etwas entbehren müssen.
In der Praxis mag der Unterschied zwar häufig nur Makulatur sein, jedoch liegt es in der Hand des Beraters, achtsam mit dem Werkzeug Sprache umzugehen. Das gemeinsame Hinarbeiten auf eine Lösung (statt auf einen Kompromiss) ermächtigt die beteiligten Parteien und gibt ein gutes Gefühl.
Regel #3: Wir bringen die Gesprächspartner auf dieselbe Ebene und sorgen für den nötigen Fokus.
Sie: "Immer, wenn er Abends nach Hause kommt, legt er erstmal seine Füße hoch und lässt fünfe gerade sein. Dabei habe ich auch einen sehr anstrengenden Halbtagsjob, und dann die Kinder ..."
Er: "Es ist immer das Gleiche! Nie gönnt sie mir mal fünf Minuten Ruhe oder eine kurze Auszeit. Am liebsten hätte sie wohl einen Roboter geheiratet, der 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche schaffen kann!"
Sie: "Das ist es! Wenn ich auch nur das kleinste bisschen an Kritik äußere, flippt er aus und beleidigt mich! Es ist immer das selbe!"
In diesem kurzen Beispiel wurde nicht nur die Ebene mehrfach gewechselt, die Gesprächspartner haben auch den Fokus verloren. Der Job des systemischen Begleiters wäre es nun, die Themen herauszuarbeiten und fokussiert zu bearbeiten. Da wären:
- "Ihr" Wunsch, dass er sich mehr am Haushaltsgeschehen beteiligt (oder zumindest die Absicht zeigt)
- "Sein" Gefühl, dass sie ihm keine Ruhe gönnt
- "Ihre" Annahme, dass er keine Kritik verträgt
Mittels dem Metamodell könnte der versierte Coach hier bereits erfolgreich intervenieren: Ist es denn wirklich so, dass sein Füße hochlegen bedeutet, er möchte gar nicht im Haushalt mithelfen - oder benötigt er vielleicht einfach nur ein paar Minuten Ruhe? Gönnt sie ihm wirklich keine Ruhe, oder ist sie vielleicht selbst nur ausgelaugt und enttäuscht, dass er keine Avancen zeigt, sie zu unterstützen? Verträgt er wirklich keine Kritik - oder stört ihn vielleicht nur der Tonfall?
Hilfreich kann hier auch ein Vergleich der Sortierstile sein. Darunter versteht man eine Art Filter, wie man Informationen abspeichert und wiedergibt: Zum Beispiel welcher Sinneskanal bevorzugt wird, ob man den Handlungsbedarf mehr über eine Hin-zu oder Weg-von Motivation generiert, ob man eher spontan oder geplant-kontrolliert vorgeht, etc.
Übrigens: Im systemischen Prozess müssen noch nicht mal beide Beteiligte anwesend sein. Im Coaching oder in der Therapie lässt sich das Thema auch dann systemisch behandeln, wenn der Gegenpart abwesend ist (und vielleicht noch nicht einmal von der Therapie weiß ...).
Regel #4: Wir sorgen für Verständnis der Zirkularität in systemischen Konflikten.
Die meisten Menschen sind von einer linear-kausal orientierten Denke geprägt: A führt zu B. Mann ist faul, deshalb ist Frau enttäuscht. Frau ist enttäuscht, deshalb denkt Mann, Frau gönnt ihm keine Entspannung - und so weiter.
Zwischenmenschliche (aber auch intrapersonelle!) Konflikte lassen sich jedoch erst dann wirklich gut lösen, wenn man die Entstehungsgeschichte zirkulär statt kausal betrachtet. Nicht: A führt zu B, sondern: A führt zu B, B verändert sich und verstärkt / schwächt die Gefühle / Handlungen bei A, was wiederum eine Wirkung auf B hat - und so weiter.
Oftmals haben Konflikte eine lange Vor- und Entstehungsgeschichte, die sich nicht einfach linear-kausal betrachten lässt. Wenn sich die betroffenen Parteien darüber im klaren sind, sind Lösungen schneller möglich.
Klienten lässt sich das gut anhand von Beispielen erklären:
"Wenn Albert ein Ei fallen lässt, und das Ei platzt - wer hat Schuld?"
"Albert!"
"Wenn aber Bettina vor Albert steht und ihn angerempelt hat, und Albert deshalb das Ei fallen lässt - wer hat dann Schuld?"
"Bettina!"
"Wenn Albert aber nur deshalb angerempelt wurde, weil er Bettina das Ei vorher aus der Hand gerissen hat, ... wer hat dann Schuld?"
"Albert!"
"Wenn Albert Bettina das Ei aber nur deshalb weggenommen hat, weil Bettina vorher Alberts Ei fallen hat lassen, ...
... und so weiter. Zirkulär gedacht entfällt oftmals der übliche Wunsch, den "Schuldigen" ausfindig zu machen - da sich dieser hier kaum noch dezidiert feststellen lässt.
Todd Epstein, einer der frühen Mitentwickler (u.a. die sehr bekannte Walt-Disney-Strategie) des NLPs in Santa Cruz, hat sieben Gebote aufgestellt, die er für Teams vorschlägt - die sich jedoch auch gut z.B. im Paarcoaching nutzen lassen. Diese sind:
- Unterstütze die Beziehung und die Aufgabe mit Körper, Herz und Verstand
Hier kann eine kurze Einführung in die Theorie der Rapportgenerierung wahre Wunder wirken. Am obigen Beispiel: Wenn die Gattin hektisch und unruhig ist und der Gatte völlig entspannt die Füße hochlegt, kann nur schlecht guter Rapport entstehen. - Engagiere dich für die gemeinsame Mission
Hier bietet es sich an, mit Paaren oder Gruppen sowohl die logischen Ebenen nach Dilts auszuleuchten (passen die Werte zusammen? Gibt's hinderliche Glaubenssätze?), als auch ein gemeinsamer Zieleworkshop. Wenn alle Beteiligten im selben Boot sind, rudert es sich leichter. - Unterscheide zwischen Themen, die innere Beziehungen betreffen, und Themen, die äußere Ziele betreffen
Ganz klar: Die Ebene muss passen im Gespräch. Wenn diese im Gesprächsprozess zu weit auseinanderdriften, muss der Begleiter dazu einladen, wieder zur gemeinsamen Ebene zurückzufinden. - Sei auf allen Ebenen respektvoll gegenüber den anderen Mitgliedern des Systems
Die Empfehlung an die Beteiligten des systemischen Coachings (oder der Therapie) lautet ganz klar: Du musst nicht mit allem einverstanden sein - du solltest es dir aber zumindest einmal angehört und wirklich darüber nachgedacht haben, bevor du wertest oder urteilst. Überaus hilfreich ist hier die Übung des Perspektivenwechsels: Wie fühlt sich eine Aussage zum Beispiel an, wenn man mal in die Rolle des Senders schlüpft? Oder gar in die Rolle eines neutralen Beobachters? - Sei klar und kongruent in deinen Botschaften und Meta-Botschaften
Sag, was du denkst - sag aber auch, was du fühlst! Ein: "Jaja, er hat schon recht", während man die Augen verdreht, treibt einen Keil in den Prozess der Lösungsfindung. Es geht nicht darum, die "richtigen" Antworten zu finden oder lediglich zu erzählen, was der Coach (vermeintlich) hören will - sondern darum, eine Lösung zu finden. Dies gelingt erst dann, wenn die Botschaft mit der Meta-Botschaft im Einklang ist. - Balanciere die Wahrnehmungspositionen
Bei Punkt 4 schon mal kurz angesprochen, hier nochmal deutlicher: Der Perspektivenwechsel schafft oftmals Klarheit über die eigentlichen Absichten der beteiligten Parteien. Gekonnt durchgeführt, können verhärtete Fronten hier sehr schnell und nachhaltig aufgeweicht werden. Es entsteht Verständnis für die Sicht des / der Anderen. - Bringe das Beste in jedem Mitglied zutage.
Heißt: Als Beteiligter kümmere ich mich nur um meinen eigenen Vorteil, sondern sorge mich für die Heilung des gesamten Systems. Hier kommt der NLP-Grundsatz "Jedem Verhalten liegt eine positive Absicht zugrunde (selbst dann, wenn das eigentliche Verhalten eher destruktiv orientiert ist)." ins Spiel. Wenn ich es als am systemischen Veränderungsprozess Beteiligter schaffe, den Unterschied zwischen Verhalten und Absicht zu erkennen, ist das Spiel schon halb gewonnen.